Buddhismus in China

Erste Anfänge

Der Buddhismus gelangte im 1. Jahrhundert n. Chr. nach China, konnte sich aber zu dieser Zeit noch nicht wirklich verbreiten. Erste Übersetzungen buddhistischer Schriften ins Chinesische erfolgten zwar bereits im zweiten Jahrhundert, doch wurden dabei zu einem großen Teil Begriffe aus dem daoistischen Denken entlehnt, wodurch Inhalte teilweise verzerrt rezipiert wurden. Erst ab dem 3. Jahrhundert gab es erstmals intellektuelle Auseinandersetzungen mit buddhistischen Schriften. Breitere Auswirkungen bis in die unteren Volksschichten folgten erst in der Tang-Dynastie (7.-10. Jh.).

Gründe für die spätere starke Verbreitung des Buddhismus liegen vermutlich einerseits in den offenen Fragen des Konfuzianismus, der damals zur offiziellen Ideologie erklärt worden war, andererseits in der Affinität der buddhistischen Weltanschauungen zum Daoismus.

Bezüge zum Konfuzianismus

Der Konfuzianismus stellt hohe Ideale der Menschlichkeit und des harmonischen Zusammenlebens auf und hat einen hohen Anspruch an den Menschen, diese zu erreichen. Der Einzelne soll sich dabei zurücknehmen, seine Gefühle unter Kontrolle halten, sich überwinden. Dabei werden die handfesten Schattenseiten des Daseins vernachlässigt:

- das psychische und physische Leid (“苦”kommt bei Konfuzius nicht vor, betont ist hier “乐”);

- die Gefühle (Gefühle sollen zugunsten des harmonischen Zusammenlebens unterdrückt werden);

- Betonung des Intellekts und der Bedeutung von Erkenntnis durch Wissen;

- Fragen um Krankheit, Sterben und Tod werden bei Konfuzius ausgeklammert;

- Konfuzius spricht in erster Linie den Gelehrten und/oder die Herrschenden an, während das „gemeine Volk“ der Beherrschten hauptsächlich unter Kontrolle gehalten werden soll (节之以礼– das Volk durch Riten/Höflichkeitsformen in Banden halten). Ähnliche Ansichten finden sich auch bei Laozi (虚心实腹– zusehen, dass sich im Volk kein starker Wille breitmacht, und dass das Volk genug zu essen hat).

- Der Konfuzianismus betont das Beziehungsnetz und das Einordnen des Selbst unter Autoritäten („Vater“, „Fürst“), was den Wunsch nach Flucht aus dem bedrückenden Netz zur Folge haben kann;

- erlittene Ungerechtigkeiten durch ranghöhere Personen sollen erduldet werden;

Buddhistische Grundideen

Der Buddhismus hingegen betrachtet das Leben wie es ist und geht von den Grundsituationen des Menschen aus, ergründet die Ursachen und zeigt einen Weg zu deren Beseitigung auf. Ausgangspunkt sind dabei grundsätzlich vier Thesen (die „Vier Edlen Wahrheiten“, 四谛 sì dì):

- Das Leben ist leidvoll (苦 ). Dies impliziert sowohl die Betrachtung der Vergänglichkeit, Krankheit und Tod, also auch alltägliche Gefühle von Unzufriedenheit, Frust, Depression, Sehnsucht, Aggression, Angst u.a.

- Die Ursachen dieser Leiden liegen in der Ansammlung (集 ) von „Begehren, Ablehnung und Verblendung“, d.h. der Selbstbezogenheit und dem „Durst“ nach immer mehr, sei es in materieller oder in geistiger/seelischer Hinsicht: Geld, Wohlstand, Liebe, Bequemlichkeiten...

- Heilsversprechen: Es ist möglich, dass diese Ursachen erlöschen (灭 miè), der Mensch kann sich aus leidvollen Zuständen erlösen.

- Es gibt einen Weg (道 dào), der zur Erlösung aus dem Leiden führt: der „Achtfache Pfad“.

Die Vorstellung eines "rechten Weges" liefert nun einen direkten Anknüpfungspunkt zum konfuzianischen Denken: Die Idee der Selbstvervollkommnung, ein Weg des rechten Tuns und Verhaltens (Konfuzius spricht u.a. von 修身 xiū shēn, an sich selbst arbeiten).

Das Ziel dieses Weges ist allerdings unterschiedlich. Bei Konfuzius geht es darum, auf der Grundlage der Erkenntnis sich selbst zu vervollkommnen (Selbst­kultivierung), um dann als kultivierte Persönlichkeit Untergebene zu lenken und zu leiten (Regierung).

Im Buddhismus hingegen geht es darum, das Leid und dessen Ursachen zu erkennen, von anklammernder Selbstbezogenheit abzulassen (beim Zen-Buddhismus besonders: vom rein intellektuellen Erkennen loszulassen) und in diesem Sinne eine Selbstkultivierung zu pflegen, die ihren Endzweck in innerer Erlösung hat und nicht in der „Regierung“.

 

Allerdings fällt der Blick auf das "Heil aller" nicht weg, denn anstelle des guten Regierens für alle kommt mit dem Mahayana-Buddhismus die Erlösung für alle. Dies mag erklären, weshalb in China der Theravada-Buddhismus keine Wurzeln geschlagen hat. Das geflügelte Wort „Wer Karriere macht ist Konfuzianer, wer versagt wird Buddhist“ geht auf das Abwenden vom Regieren zurück.

Da der Buddhismus aus obengenannten Gründen (v.a. mit der Betonung des Leidens und der Mühsal, der Idee der Erlösung für jeden Menschen: Hoffnung auf ein Jenseits, oder sogar auf Erlösung im Diesseits; Erlösung aller Menschen. Buddhas und Bodhisattvas als helfende Götter und Göttinnen) niedere Volksschichten besonders ansprach, entstand bald eine Trennung in Volksbuddhismus und intellektuellen Buddhismus.

 

Erweiterung der Vorstellungsräume

Für das chinesische Denken jener Zeit bedeuteten die nach und nach eindringenden buddhistischen Ideen eine enorme Erweiterung der Vorstellungswelt: Im Gegensatz zur genuin chinesischen Weltsicht von Himmel und Erde als einer Ganzheit, Himmel und Erde als fertiger Kosmos, dessen Gesetze und Abläufe ebenso im  Mikrokosmos des menschlichen Körpers vorhanden sind, eröffnen mit dem Bekanntwerden buddhistischer Anschauungen auf einmal immense Weltenräume (so etwa im Begriff 三千大千世界 sānqiān dà qiān shìjiè - unsere Welt ist nur ein winziger Punkt in Myriaden von Welten). Auch die Zeit des Lebens, das man in China als fertigen Kreislauf zwischen Leben und Tod betrachtete, wurde auf einmal konfrontiert mit der Vorstellung immenser Zeiträume, insbesondere mit der Idee der Wiedergeburt (六道轮回 liù dào lúnhuí - unser Leben ist nur ein kleiner Moment im endlosen Kreislauf der Wiedergeburten).
Eine entscheidende Erweiterung erfuhr auch die in China bereits verankerte Idee des „Herzens“ (xīn) als Sitz des Denkens, der Vorstellung und des Fühlens. Die Buddhistische Sichtweise erweiterte den Begriff nicht nur auf die gesamte menschliche Psyche,  einschliesslich Bewusstsein und Unterbewusstes, sondern hinterfragte grundsätzlich dessen Substanz: Das „Herz“ erscheint hier in zweifacher Gestalt, einerseits als „wahres Herz“ (真心 zhēnxīn), d.h. der Menschen ist innerlich im Kern verbunden mit dem großen Weltgesetz (vgl. „das Eine“ oder „Dao“ im daoistischen Denken), andererseits als das „trügerische Herz“ (妄心 wàngxīn), d.h. das Herz als Sitz des Denkens und des Intellekts, der Wahrnehmungen und der damit verbundenen Gelüste, welche den wahren Kern, auf den es letztlich ankommt, überdeckt und schwer zugänglich macht. Die Idee ist jedoch, dass das verschüttete "wahre Herz" durch gezielte Übung (insbesondere Meditation: Loslassen vom Denken, Ablegen der Sinneseindrücke) wieder daraus befreit werden kann, wodurch das strahlende Licht (佛性 fóxìng, Buddhanatur), das grundsätzlich jedem Menschen innewohnt, wieder zum Vorschein und zur Wirkung kommt.


Bezüge zum Daoismus

Hier bestehen Anknüpfungspunkte im Daoismus:

- das Große Eine oder das Dao (der buddhistische Begriff „Dharma“, u.a. das „Weltgesetz“, wurde anfangs mit „Dao“ übersetzt);

- die Rückkehr aus der Zweiheit der dualen Welt der Alltagsrealität in die große Einheit („vor der Welt“).

- Meditation  kommt bei Zhuangzi vor als 坐忘 zuò wàng „Vergessen im Sitzen“. Auch die Auflösung der Vorstellung des „Ich“ ist bei Zhuangzi ansatzweise vorhanden (vgl. 蝴蝶梦 húdié mèng, Traum vom Schmetterling).

- Zum Relativen der Welt, wie es Zhuangzi beschreibt, kommt mit dem Buddhismus das Illusionäre der Welt, die Grenzen der Wahrnehmbarkeit: 万法唯心 wàn fǎ wéi xīn,  alles auf der Welt ist letztlich nur eine Projektion des „Herzens“, gefiltert durch die menschlich Wahrnehmungsweisen, nichts ist "an sich" erkennbar.

 

Spannungen zwischen den Religionen

Möglicherweise ist es gerade die innere Nähe, die auf einer anderen Ebene immer wieder zu Rivalitäten und Spannungen zwischen dem Buddhismus und dem Daoismus führte. Von der philosophischen Ausarbeitung wie auch von der Weltsicht und dem Pantheon der Götter her gesehen, war der Buddhismus dem Daoismus eigentlich überlegen. So geriet der Daoismus allmählich in eine Art Konkurrenzzwang mit der fremden Religion.

Dadurch wurden viele Inhalte des Buddhismus nach und nach vom Daoismus adaptiert und verinnerlicht. Der stete Versuch, dabei dennoch die Überhand zu behalten und den höheren Stand für sich zu beanspruchen, führte mitunter zu absurden Erscheinungen, wie etwa dem aus daoistischer Hand verfassten Buch 老子化胡经 Lǎozǐ huà hú jīng - "Wie Laozi die Barbaren zum Glauben bekehrte", das behauptet, Laozi sei nach seiner Ausreise aus China in Indien wiedergeboren und dort zu Buddha geworden. Auch die buddhistische Gottheit Avalokiteshvara, die in China weibliche Züge annahm und unter dem Namen Guanyin grosse Verehrung findet, wurde vom Daoismus gänzlich vereinnahmt, und zwar stets mit der Betonung, dass es sich um eine ursprünglich daoistische Gottheit (mit Namen 慈航道人 Cíháng Dàorén) handle.

Dies erklärt auch die äusserliche Nähe daoistischer und buddhistischer Tempel , einschliesslich vieler Rituale.


Buddhistische Schulen

Die wichtigsten buddhistische Schulen, die heute in China anzutreffen sind: 

1. der "Buddhismus" (净土宗 jìngtǔ zōng), der am weitesten verbreitet und vor allem in weniger gebildeten Volksschichten verbreitet ist; 

2. der Chan-Buddhismus oder Zen-Buddhismus (禅宗 chán zōng), eine Schule, die früher wie heute vor allem intellektuelle Schichten sehr stark anspricht;

3. der in tibetischen und mongolischen Regionen vorherrschende tantrische Buddhismus (密宗 mì zōng). 

               

 

 


Buddhistische Wandmalerei in Dunhuang (7.Jh.)


Konfuzius

Gier, Hass und Verblendung, bildhaft

als Schwein, Schlange und Hahn


Beten um Heil und Segen


"Kleine Tausend-Welt" (jeder Punkt ist eine Welt, wie wir sie kennen)


Alle Erscheinungsformen des Lebens entspringen dem Herzen (心)


Laozi als Buddha